Schwer, wie Wackersteine

Die gute Stimmung vom Mittwochmorgen war mir zuerst im Hals stecken geblieben, dann rutschte sie tiefer. Seit dem liegt sie mir begraben von Traurigkeit im Magen. Das ist alles, was es gerade mit mir macht. Das viel zu große Stück Welt da draußen. Wackersteineschwertraurig.

Die Für- und Gegendemos im Land in Sachen #pegida drückten mir eh schon aufs Gemüt. Freunde meinen, das beruhigt sich alles wieder. Doch ich denke an ´89. Da dachte ich, die können uns nicht stoppen, wir sind zu viele, die sich das nicht länger gefallen lassen. Das macht mir Sorge, und „Wir sind das Volk“ verliert an Kraft und Sympathie. Die Menschen in Dresden, die ich in ungekürzten Interviews gesehen habe, die Stimmung, die aus dem Hintergrund in die Kameras schwappt … alles lässt mich fremdschämen. Und dabei bin ich überzeugt davon, dass es so eine geballte Kraft im Land braucht, damit sich etwas ändert. Aufklärung zum Beispiel zu einer Vielzahl an Undurchsichtigkeiten, Geldermissbrauch, Waffenhandel und somit Kriegsbeteiligung, die unser Land gefährden. Das Einfordern von Versprechungen. Aufdecken von hohlen Phrasen und Lügen. Reformationen überholter Gesetzestexte.

Aber doch bitte nicht im Bündnis mit Nationalismus und gegen Menschlichkeit! Wie bescheuert ist das eigentlich?!

Städte und Länder sind so viel schöner, wenn sie bunt sind! Mich irritiert es, wenn ich in einer Gegend bin, in der mir nur der typisch deutsche Jammerlappen über den Weg läuft. Mundwinkel nach unten gezogen. Das Leben ist ja ach so schwer …
Mann! Wir wollten damals FREIHEIT! Denn wie groß und schön ist der Gedanke. Und dann ist der Wunsch folgerichtig, dass jeder Mensch ein Leben lang die Freiheit besitzt, grundsätzlich entscheiden zu können, wo er leben will. Egal, aus welchem Grund. Ich möchte nicht wissen, oder besser, ich möchte wissen, wie viele von uns damals auf der Straße waren, weil sie ohne Ende Mars fressen wollten.

Das ist ja erstmal nur Sorge und Enttäuschung. Die Wackersteine macht das Geschehen in Paris. Es lähmt mich bis jetzt. Aus vielerlei Gründen.

Ich begriff erst am späten Nachmittag über Twitter, was in Paris geschehen war. Die offiziellen Bekundungen der Menschen hatten längst eingesetzt – Schwarze Avatare. Ich bin Charlie. Bestürzung. Angriff auf die Demokratie. Islamismus. Fanatismus. Islamhasser. Pegida fühlt sich bestärkt – und ich spürte nach, was es mit mir macht. Was die breiten Reaktionen im Netz mit mir machten. Dann schossen mir verschiedene Gedanken durch den Kopf.

Ich fragte mich, was wäre, wenn die zwölf in einem Bus verunglückt wären. Ich fragte mich, was wäre, wenn es zwölf Flüchtlinge vor den Ufern Italiens gewesen wären. Ich suchte den Schrecken über den Tod hinaus.

Am deutlichsten zeigt mir die Zeichnung „He drew first“ den Wahnsinn, den Fanatismus hinter dem Attentat. Am deutlichsten zeigen mir die Karikaturen im Anschluss, die bestehende Kraft hinter der

Idee von Demokratie, Meinungs- und Pressefreiheit, an deren Vorhandensein ich auch in Deutschland nicht uneingeschränkt glaube.

Am deutlichsten zeigt mir der in Ausübung seines Berufes erschossene muslimische Polizist Ahmed Merabet, wie absolut bescheuert die pauschale Verurteilung von Glaubensrichtungen ist. Und am deutlichsten zeigt mir die breite Solidaritätsbekundung mit dem Slogan „Ich bin Charlie“, dass ich in dem Fall wohl nicht dafür gestrickt bin, mir mit der Masse Luft zu machen.

wahrheitIch bin nicht Charlie. Ich war auch nicht Weltmeister. Ich bin wieder nur „ein Korken auf dem Ozean“, dem die Welt gerade einfach nur zu groß, zu laut, zu böse ist. Und das ist sie überall und immer dort, wo Gewalt herrscht jedweder Form und egal, gegen welche Wesen, und wo Aufklärung und Mitgefühl fehlen. Hüben wie drüben. Und die wackersteinschwere Traurigkeit entspringt wohl allein dieser Tatsache.

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