Aus heiterem Himmel – Nonfiktion

»Es ist alles richtig, wie du es machst. Bei Viktorias Freundin wurden heute morgen die Geräte abgestellt.«

Ich starre auf das Handydisplay und verstehe die Worte nicht.

Viktoria ist in Australien zum Arbeiten und Reisen. Seit letztem Sommer. Vor Kurzem erst atmeten wir erleichtert auf, als der Nachricht, sie würde nach einem schweren Autounfall ins Krankenhaus gebracht worden sein (ihr Wagen hatte sich aus ungeklärten Gründen überschlagen), die Mitteilung folgte, sie würde mit Schock und Gehirnerschütterung schon am nächsten Tag entlassen werden. Ihren Schutzengeln dankten wir zutiefst.

In meinem Kopf rattert es. Ich mache alles richtig, weil ich mich dem Schreiben zuwende, verstanden. Aber welche Freundin, welche Geräte und was denn jetzt schon wieder? Ich rufe den Absender der SMS an und frage nach. Die Erklärung, die folgt, klingt, als würde sie einem Hollywoodfilm entspringen:

Es ist Freitag. Auf einem Feld in Australien. Viktoria, von besagtem Autounfall genesen, arbeitet dort gemeinsam mit einer deutschen Freundin. Mit ihnen sind Schafe, andere Arbeiter, der Farmer selbst. Über ihnen wolkenlos strahlend blauer Himmel bei 50 Grad Celsius. Wäre es ein Film, würde ich noch malerische Kulissen beschreiben, vielleicht das leise Blöken der Schafe zitieren, die Stimmung der Mädchen einfangen … doch in der Realität geht alles ganz schnell:
Ein Donnerschlag hallt über den Himmel.
»Alle hinlegen!«, hallt es aus dem Mund des Farmers.
Schreie hallen aus den Mündern der anderen Arbeiter und auch die Schafe spüren, dass in den nächsten Sekunden Unheil droht. Nur den zwei deutschen Mädchen bleibt nicht genügend Zeit, zu realisieren, was unmöglich scheint.
Sie stehen als einzige, als aus heiterem Himmel der Blitz einschlägt.
Einen Meter neben Viktoria.
In die Freundin, die etwas größer ist als sie.
Die Ärzte versuchen, das Mädchen zu reanimieren. Fliegen sie ins Krankenhaus. Viktoria, mit Gehirnerschütterung und Bluthochdruck, darf wieder gehen. Sie besucht die Freundin am Samstag. Deren Eltern treffen am Sonntag aus Deutschland ein.
Heute ist Montag und die Geräte zur Lebenserhaltung sind verstummt.

Warum ich davon erzähle? Vielleicht weil es wieder zeigt, wie unberechenbar schnell das Leben vorbei sein kann. Vielleicht weil ich will, dass alle, die das lesen, wissen, dass es Blitze gibt, die in kilometerweiter Entfernung von der Gewitterwolke aus heiterem Himmel einschlagen können und dass Hinlegen lebensrettend sein kann.
In mir tun sich nämlich Fragen auf: Hätte man die Mädchen auf die meteorologische Möglichkeit eingangs hinweisen können? So, wie es in Deutschland Belehrungen gibt, nicht auf dünne Eisflächen zu gehen? Zeigt die Tatsache, dass der Farmer so reagiert hat, dass er das Wissen ob dieser Besonderheit hatte? Oder kommt es auch in Australien äußerst selten dazu und er hat genauso unwissend und nur rein instinktiv gehandelt? Nur warum blieben dann als einzige die beiden Mädchen aus Deutschland stehen?

Viktoria kann sich nicht über ihr Glück freuen, weil sie nicht verstehen kann, »wieso so etwas passieren musste und es ausgerechnet so einen tollen, lebensfrohen und jungen Menschen« traf. Ich verstehe sie, doch ich will mich darüber freuen dürfen, dass sie lebt. Gleichzeitig gilt mein tiefes Mitgefühl der Familie des anderen Mädchens und allen, die das vor Ort miterleben mussten, auch Viktoria, und auf die Frage nach dem WARUM? … werden uns allen die Worte genauso fehlen wie die Wolken an dem schicksalhaften Himmel Australiens.

© Jo Lenz, 24.03.2014

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