Als die Halloween-Hexe und der Zehwackel-Zauberer das Gruseln lehrten

Zuerst war da ein Tweet: ALLE KINDER MALEN BUNTE KREISE. NUR DIE KLEINE HEXE – DIE MACHT KLECKSE. Und jetzt schenke ich euch mein Halloween-Märchen. Also nur zum Lesen. Das © bleibt bei mir 😉

Es war an einem Tag im September. In der sonderbaren Stadt Mückelplutz. Warum Mückelplutz sonderbar ist, fragst du? Nun, dort leben nicht nur Menschenkinder, so wie du eines bist. Nein, in Mückelplutz leben auch die allerletzten Zehwackel-Zauberer. Aber das ist noch nicht alles. Denn auch die letzten Halloween-Hexen auf der Welt kannst du dort finden.

Eines Tages also, im September, als der Zehwackel-Zauberer Mooskopf den ersten Tag zur Schule gehen durfte, begann für die kleine Halloween-Hexe Krummnase die Kindergartenzeit. Krummnase war die einzige Hexe in ihrer Gruppe und obwohl sie sich so sehr auf den Kindergarten gefreut hatte, ging sie am Abend traurig nach Hause. Warum sie so traurig war, willst du wissen? Nun, die Menschenkinder waren viel geschickter als sie. Sie konnten sich die Schuhe alleine zubinden und bunte Kreise auf Papierseiten malen. Und was das Schlimmste war, sie konnten Lieder singen, die sehr traurige Gefühle machten. Aber lies am besten selbst, wie das war.

Krummnase war eine freundliche Halloween-Hexe und wie der Name es schon sagt, war ihr eine sehr lange krumme Nase gewachsen. Außerdem hatte sie lange knorrige Finger, an welchen schwarze Fingernägel wuchsen, die aussahen wie Obstmesserklingen. Wenn Krummnase ihre Fingernägel heimlich abschneiden wollte, wuchsen diese sofort nach. Und du kannst dir vorstellen, dass sich mit solchen Fingern keine schöne Schleife binden lässt. Sooft sie es auch versuchte, mit ihren scharfen Fingernägeln zerschnitt sie jedes Mal die Schnürsenkel an ihren Hexenstiefeln in einhundert Teile. Sie probierte und probierte. So lange, bis die Kindergärtnerin keine neuen Schnürsenkel mehr in ihrem Vorratsschrank hatte und Krummnase mit offenen Stiefeln herumlaufen musste. Darüber war sie sehr unglücklich.

Doch damit war es nicht genug. In der Mal- und Bastelstunde saß die kleine Halloween-Hexe vor dem nächste Problem. Das bunte Kreise Malen wollte ihr einfach nicht gelingen. Sie konnte den Pinsel nicht richtig halten. Außerdem war ihre Nase immerzu im Weg, wenn sie auf das Stück Papier sah. So sehr sie sich auch anstrengte, am Ende war das Zeichenblatt, vor dem sie saß, nur mit Klecksen übersät. Und als ob sie darüber allein nicht schon traurig gewesen wäre, musste sie beim Spielen auch noch Hänseleien über sich ergehen lassen.

Das lauteste Menschenkind in der Gruppe hieß Danny. Danny hatte sich ein Lied ausgedacht, das er zuerst leise vor sich hin summte, während er sich seine Schuhe anzog. Als er mit allen Kindern draußen war und die Kindergärtnerin die Zeichnungen mit den bunten Kreisen zum Trockenen auf eine Leine hing, sang er das erfundene Lied lauter und lauter. Er sang es so laut und so oft, bis es ihm alle anderen Menschenkinder nachmachten. Krummnase konnte sich nicht mal die Ohren zu halten, weil sie sich sonst mit den Fingernägeln ihre Hexenhaare abgeschnitten hätte. Immerzu musste sie hören, wie die anderen über sie lachten und sangen: »Alle Kinder malen bunte Kreise. Bloß die doofe Hexe, die mahacht Kleckse.«

»Das war heute gar kein schöner erster Tag«, seufzte Krummnase am Abend, als sie mit Mooskopf vor dem Zaubertranktopf stand und den Spinnen beim Schwimmunterricht zusah.
»Bei mir auch nicht«, antwortete Mooskopf niedergeschlagen und warf Rettungsringe aus Schnittlauch in den Topf, »diese Menschenkinder können ganz schön gemein sein. Die wissen, dass wir unsere Zauberkräfte nicht benutzen dürfen.«
»Schon möglich«, antwortete Krummnase und blies in den Topf, um ein paar Wellen zu machen. Die Schnittlauch-Schwimmringe schaukelten und die Spinnen krabbelten eilig am Topfrand hinauf. Manche hatten Wasser geschluckt und husteten wie wild, »dabei mag ich die Menschenkinder gern. Ich finde toll, was sie alles können«, Krummnase entschuldigte sich bei den Spinnen, ging zum Baumstumpf, der in der Mitte ihrer Erdhöhle stand und hockte sich oben drauf. Dann ließ sie die Arme hinunter hängen, so dass ihre Fingernägel auf dem Boden kratzten, steckte ihre Nase zwischen die Knie und pustete ein paar Schluchzer hinterher.

Mooskopf verabschiedete sich von den Spinnen und stellte sich ganz nah vor die traurige Halloween-Hexe. Seine Schuhe waren vorne offen, wie sich das für ordentliche Zehwackel-Zauberer-Schuhe gehört, und er fing an, mit seinen Zehen ein paar Kunststücke zu vollführen. Zuerst wackelte er mit ihnen, so dass es aussah, als würden Raupen eilig über den Boden krauchen. Da wurde das Schluchzen zwischen den Knien leiser. Schließlich verknotete er seine Zehen so häufig untereinander, bis sie zu einem Zopf geflochten waren. Da endlich lachte Krummnase schallend, weil sie im Leben noch nichts Lustigeres gesehen hatte, als Wackelzehen, die zu Zöpfen geflochten waren.

Als der Zehwackel-Zauberer und die Halloween-Hexe zum Schlafen auf ihre Höhlenzapfen geklettert waren, unterhielten sie sich noch bis zum Einschlafen. Mooskopf erzählte, wie die Menschenkinder von seinem Kopf die Pilze gestohlen und zertreten hatten und wie die stärksten von ihnen ihn hochgehoben und geschüttelt hatten, bis lauter Tannenzapfen unter seinem Mantel herausgefallen waren, die sie für ihr Herbstfeuer verwenden würden. Dabei hätte er die gebraucht, um für den Wald neue Tannen zu ziehen.
»Naja, Mooskopf«, gähnte Krummnase und schloss die Augen, »das wächst dir doch schnell alles wieder nach«, und schon beim Einschlafen flüsterte sie noch, »unsere Zeit wird kommen, und dann werden die Menschenkinder uns nicht mehr so behandeln«

In Mückelplutz ging der September vorbei. Und der Oktober kam und wollte genauso gehen. Das Laub hatte die Bäume verlassen, sammelte sich zu raschelnden Haufen oder zu klebrigem Matsch, je nach dem, wie Sonne, Wind und Regen das so wollten. Mooskopf und Krummnase hatten in Schule und Kindergarten immer noch keine Freunde gefunden und trösteten sich am Abend stets mit der Hoffnung auf ihren großen Tag und mit der Freude darüber, dass sie einander hatten. Doch bald sollte sich das ändern.

Der 31. Oktober stand vor der Tür und in Mückelplutz sollte ein Gruselfest gefeiert werden. Die Mückelplutzer waren wahrlich sonderbar und gruselten sich allesamt gern. Halloween also wurde gefeiert, wie ein großer Staatsfeiertag. Tagelang wurden Laken zerfetzt, Kürbisse geköpft, Theaterblut literweise im Supermarkt verkauft. Die Menschen schminkten sich Schnitt- und Schusswunden, klebten sich Beil-Attrappen an den Kopf, kauften Tonnen von Süßigkeiten, die wie Augäpfel oder abgeschnittene Finger aussahen und kochten Kürbissuppe, Kürbischutney, Kürbismarmelade und Kürbiscurry und aßen so viel davon, bis ihre Haut aussah, wie … na, das kannst du dir schon denken.

17141303_lDer Höhepunkt jedoch war der Halloween-Mitternachtsball, auf dem jedes Jahr die schaurigsten Kostüme prämiert wurden. Kurz vor 24 Uhr fand sich der ganze Ort auf dem Friedhofsberg am Waldrand ein. Hunderte Kerzen flackerten auf den Grabsteinen. Käuzchenrufe hallten durch die Nacht und der Wind heulte sein schauriges Lied in den höchsten Baumwipfeln, die sich dann und wann gefährlich weit nach unten beugten. Der Bürgermeister stand auf der Familiengruft der Stadtgründer und erzählte die Geschichte vom kopflosen Ritter, der einer seiner Ahnen gewesen war und dessen Geist noch immer durch Mückelplutz tobte, dabei Mülltonnen umwarf, Verkehrsschilder verbog und Hauswände frisch renovierter Reihenhäuschen beschmierte. Ja, er war schon ein Schlingel dieser kopflose Ritter.

Als nun die Bewohner einer Horde aus Gespenstern, Hexen, Zauberern, Vampiren und Zombies glichen und ausgelassen brüllten und schrieen, setzte der erste Gong des Mitternachts-Schlages ein. Schlagartig war Ruhe. Niemand bewegte sich mehr. Nur der Bürgermeister drehte seinen Kopf und inspizierte das Volk. Auf der Suche nach dem gruseligsten Kostüm, grasten seine Blicke jedes Gesicht, jede Wunde, jede Verkleidung genauestens ab. Fledermäuse zogen über seinem Kopf hinweg. In der Ferne jaulten Hunde. Plötzlich hielt er inne. Sein Mund öffnete sich. Wie ferngesteuert hob sich sein Arm, und zitternd zeigte er in die Richtung, wo der Wald begann. Alle Köpfe drehten sich mit. Schrecken legte sich auf ihre Gesichtszüge und wer von ihnen sich den Tod angeschminkt hatte, sah noch blasser drein, als er es mit der blassesten Farbe gekonnt hätte. Alle gemeinsam trauten ihren Augen nicht.

Vor dem Wald, mit den letzten Glockenschlägen, sahen sie zwei Kinder. Hübsche Kinder. Ordentlich gekleidet. Mit leuchtenden glatt gekämmten Haaren. Einzig, etwas blass erschienen sie. Sie schwebten eine Handbreit über dem Boden, sangen ein Lied und lachten schallend. Und während sie sangen und lachten, bemalte das Mädchen mit der einen Hand tausende Blätter mit bunten Kreisen, die danach in die Luft stiegen und sich auf die Zweige der Bäume setzten. Mit der anderen Hand, band sie die Zweige der Bäume zu Schleifen, dabei streckte sie ihren Arm so weit aus, wie der größte Baum hoch war und ihre zarten Finger knoteten und banden mit einer Geschwindigkeit, die den Zusehern Übelkeit bescherte.
Der Junge indes, wanderte mit einem ausgestreckten Arm über den Waldboden, riss Pilze heraus und zermalmte sie. Mit der anderen Hand pflückte er Tannenzapfen von dem Bäumen und steckte sie mit seinem Atem in Brand. Auch er ließ dies mit einer Eile geschehen, die den Zuschauern Hören und Sehen vergehen ließen. Sie schwebten, lachten und sangen. Ihre Augen leuchteten wie glühende Kohlen und starrten zu den Mückelplutzern, denen jeder Schrei und jedes Lachen gestorben war. Aus allen Richtungen brachte ein Echo das Lied der beiden Kinder zu ihnen. Bis nach dem letzten Stundenschlag, mit einem Mal alles vorbei war. Die Kinder waren so schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht waren. Das Laub lag wieder am Boden. Die Tannenzapfen hingen an den Bäumen. Die Pilze zogen sich zurück ins Moos. Allein das Lied hallte über den Wald hinweg und bohrte sich in die Köpfe der Mückelplutzer, wo es bis ins Morgengrauen nicht aufhörte, zu klingen.

Diese Menschen spielen heute
Gruslig wollens alle Leute
Ahnen nicht, wie sie’s doch sind
fangen damit an, als Kind
Kann’s doch grusliger nicht sein
Als unter ihnen – ganz allein

Die kleine Halloween-Hexe und der Zehwackel-Zauberer hingegen, kringelten sich vor Freude auf ihren Höhlenzapfen, »denen haben wir aber mit unseren Kostümen einen ordentlichen Schrecken eingejagt, was?!«, lachten sie wie aus einem Munde, »bestimmt bekommen wir morgen einen Preis für das grusligste Kostüm«, kicherte Krummnase.
»Ja«, kicherte Mooskopf mit, »wenn der Bürgermeister seine Stimme wiedergefunden hat!«

Selbst die Spinnen glucksten vor Freude im Zaubertranktopf, das kannst du dir wohl denken, und diesmal verschluckten sie sich vor lauter Lachen. Denn Schwimmen konnten sie nun schon längst.

Happy Halloween!

Jo Lenz

3 Antworten auf „Als die Halloween-Hexe und der Zehwackel-Zauberer das Gruseln lehrten“

  1. Einfach wahnsinnig schön. 🙂
    Das Ende passt und vermittelt eine wichtige Botschaft. Wäre ich Lehrerin, würde ich diese Geschichte meinen Schülern zeigen. Danke für’s Posten!

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